Wir (S)Turmflechter

Ein Auftrag der Flechtgruppe Salix

Am „Linken“ im Urner Reussdelta stand schon einmal ein Aussichtsturm, erstellt vom Forstbetrieb Seedorf für einen Jugendanlass. Er überlebte das Fest ein paar Jahre bis er wegen Baufälligkeit entfernt werden musste. Die Lücke, welche er hinterliess, bemerkten als erste die Vogelschützer, die für ihre Beobachtungen auf einen erhöhten Standort angewiesen sind. In der Deltakommission hatte man offenbar schnell ein Einsehen für diesen Wunsch, tat sich aber schwer, für den speziellen Ort eine stimmige Lösung zu finden. Es muss dann Regierungsrätin Heidi Zgraggen gewesen sein, die Gion A. Caminada ins Boot holte.

Caminada gehört nicht zu jenen Architekten, die sich beim Entwurf eines Gebäudes damit begnügen, einen superoriginellen Akzent in die Umgebung zu stellen, dem man schon von weitem sein Markenzeichen ansieht. Er war bei der Formsuche zwar bestrebt, gängige Vorstellungen von einem Aussichtsturm zu umgehen, suchte bei den Inspirationsquellen aber die Verbindungen zur Umgebung. Der 11 m hohe Turm setzt denn auch im sensiblen Umfeld des Reussdeltas, den erwarteten Akzent, den man von der Autobahn her deutlich wahrnimmt. Er gibt allerdings dem vorbeirasenden Autofahrer in seiner eigenständigen Form seine Funktion nicht so einfach zu erkennen und passt sich mit seinen 48 unbehauenen Rundhölzern in Struktur und Farbe ungemein gut ins Umfeld von Riedgras und Schilf ein. Für die Flechtgruppe Salix Bucheli – Verdet – Zwahlen war die Zusammenarbeit mit Caminada ein Glücksfall, der auf seinem Kontakt zu Bernard Verdet basierte. Diese Zusammenarbeit war überaus angenehm. Man wurde als Handwerker ernst genommen und konnte sich einbringen.

In einer ersten Phase waren für die Flechtarbeit einheimische Weiden vorgesehen, mit denen die Balkonbrüstungen und das Treppengeländer geflochten werden sollten, sowie die Einfriedung der Treppenöffnung auf der Aussichtsplattform. Mit der Zeit kam dann die Idee auf, das Treppengeländer nach oben kontinuierlich ansteigen zu lassen, um den Besucher vor dem Erreichen der Plattform richtig einzuhüllen, bevor er in Genuss der Aussicht kommt. Verbunden war dies mit dem Wunsch, den statisch notwendigen, aber ästhetisch unerwünschten Metallträger unter der Plattform zu kaschieren. Das ergab stellenweise eine Geflechtshöhe von rund 4.50 m. Als dann noch der Wunsch nach einer Deckenverkleidung dazukam, um auch unter dem Dach einen gleichen Metallring abzudecken, war der Umfang des Auftrages auf 103 m2 Weidengeflecht angewachsen.

Die im Umfeld wachsenden Weiden hätten eine sehr grobe Struktur ergeben, was der Lösung wichtiger Details im Wege gestanden wäre. Ob man sie in der kurzen Zeit in der nötigen Menge überhaupt hätte auftreiben können, war eine andere Frage. So fiel denn die Wahl auf weisse Kulturweiden und in einem zweiten Schritt entschied man sich, diejenigen für die Balkonbrüstungen druckimprägnieren zu lassen.

Laut Sprichwort beissen den letzten die Hunde. Der Bau hatte 6 Monate Verzögerung und wir waren die letzten bei der Arbeit am Turm. Nach einem beängstigend warmen und trockenen Vorwinter 2011 sollte dieser am 14. Januar 2012 eröffnet werden und wir Flechter waren aufgefordert, diesen Termin einzuhalten. Unsere Hunde hiessen „Andrea“ und „Joachim“, die mit eiskaltem Nordwind in Orkanstärke Schnee und Regen durch den Turm bliesen und sich als überaus bissig erwiesen. Wir arbeiteten in hochseetüchtigem Ölzeug und bewiesen der abwesenden Umwelt, dass Korbflechter keine Stubenhocker sein müssen. Unser Seemann Pepito hielt uns dabei über die aktuelle Windstärke stets auf dem Laufenden. Die ganz wilden Tage verbrachten wir in einer Baracke des Forstbetriebes der Burgergemeinde Seedorf, in der wir die Elemente für die Decke flechten konnten.

Die Brüstungen wurden in Zäunergeflecht und Schicht geflochten. Den steilen Aufbau des Treppengeländers bewältigten wir im Gang und als Abschluss erwies sich der Wurstelrand als sehr geeignet, weil er von beiden Seiten gleich aussieht. Die Deckenverkleidung wurde in sektorförmigen Elementen hergestellt, die schuppenartig verlegt wurden. Das
Geflecht wurde nach Wunsch des Architekten innen und aussen dicht und im Mittelbereich locker geflochten. Die in Schuppenrichtung auslaufenden Weidenspitzen vermitteln den Eindruck eines von unten gesehenen Vogelnestes. Es wurden rund 400 kg Weiden verarbeitet und die Flechtarbeit dauerte knapp dreieinhalb Wochen. Der Turm konnte zwar wie verheissen am 14. Januar 2012 der Öffentlichkeit übergeben werden, doch schafften wir es wegen anderer Termine und den widrigen Witterungsverhältnissen nicht, bis dahin auch noch die Decke fertig zu stellen und zu montieren. Das erledigten wir am 27./28. Februar 2012, bei ungewohnt schönem und warmem Wetter.

Als einzige auswärtige Handwerker wurden wir von den Urnern sehr gut aufgenommen. Das betrifft sowohl die einheimischen Handwerker wie auch das Personal unseres Hotels, „Der Krone“ in Attinghausen, allen voran aber den Seedorfer Förster und Ranger Werner Arnold mit seinem Team, der unser Ansprechpartner in allen Belangen wurde. An alle Beteiligten geht unser grosser Dank für die tolle Zusammenarbeit und das uns entgegengebrachte Vertrauen. Dies gilt in besonderem Masse der Deltakommission als Bauherrin, den Architekten Gion A. Caminada und Förster Werner Arnold. Wir sind stolz, an diesem ausdrucksvollen Bau beteiligt zu sein und denken gerne an den wunderschönen Ort, an dem er steht, zurück.

Der Turm wurde am Prix Lignum 2012 mit dem 3. Rang in der Region Zentrum ausgezeichnet. Die Würdigung der Jury: Kecker Weidenkorb

abgelegt unter: Blog